Gambia Reise April 2018

Ein Jahr nach Ende der Diktatur in Gambia
Seit 2002 sind wir immer wieder in Gambia. Durch die langjährig gewachsenen familiären Kontakte sind wir zwar gut informiert über die Entwicklungen im Land, doch waren wir diesmal sehr neugierig, wie es sich vor Ort nach dem Ende der Diktatur "anfühlt". Hier ein Bericht mit Beobachtungen und Einschätzungen:

Vorweg:
Die Gambier, insbesondere die Frauen, sind echte Alltagsheldinnen. Mit einer unglaublichen Zähigkeit bewältigen sie die Herausforderungen, die das Leben ihnen stellt. Doch hinter dem Lächeln steckt allzu oft die blanke Not. Denn auch nach dem Regierungswechsel hat sich die Alltagsrealität der Mehrheit der Menschen nicht verbessert. Dennoch: die Jugend Gambias ist bereit für Neues, das ist in vielen Gesprächen deutlich geworden und es gibt Spuren des Aufbruchs im öffentlichen Raum zu sehen, siehe z.B. dieses Foto ... No to back way - nein zum illegalen Weg nach Europa, lasst uns anpacken, es liegt an uns ...

Doch die traditionellen Vorstellungen vom familiären und religiösen Leben sowie das hierarchische Denken greifen tief und sind nicht leicht zu überwinden. Dieses muss bedacht werden, wenn die Menschen aus dem Westen mit all ihren guten Absichten und Ideen im Land helfen oder Firmen gründen wollen. Durchgreifender Wandel braucht seine Zeit zum Reifen und viel Mut von denen, die vorangehen, das gilt im Besonderen im Bereich Menschenrechte (Genitalverstümmelung wird nach wie vor trotz Verbot praktiziert und Homosexualität ist weitgehend ein Tabu).
Und es braucht gute Bildung und Wissen für den Aufbau des Landes und die Stabilisierung der Demokratie.  Deshalb sollten Deutschland und die EU die jungen Gambier hier gut ausbilden anstatt ständig über illegale Migration zu reden und abzuschieben. Viele von ihnen gehen gern irgendwann zurück und helfen mit ihrem erworbenen Wissen, das Land aufzubauen. Denn das Heimweh nach der „smiling coast“ ist groß.

In Gambia ist es leicht, mit Menschen in Kontakt zu kommen. Die Bevölkerung ist gastfreundlich und aufgeschlossen, Gespräche ergeben sich überall und auch Ataya, der traditionell sehr süß, schaumig und stark zubereitete Grüntee, wird überall gern geteilt. So zeigt sich bei unserem Aufenthalt schnell ein Stimmungsbild.

Mit der Abwahl des Diktators Jammeh im letzten Jahr hatten viele Gambier große Hoffnungen verbunden. 22 Jahre hatte der Diktator in dem kleinen westafrikanischen Staat Angst und Schrecken verbreitet und das Land vollständig heruntergewirtschaftet. Nun sind viele Menschen enttäuscht, dass noch keine Verbesserungen der Lebensbedingungen spürbar sind. Manch einer wünscht sich den Diktator zurück, denn „damals“ gab es weniger Kriminalität. Sollte das wirklich stimmen, lag es wohl daran, dass sich kaum jemand traute, Unrechtes zu tun, denn die brutale Hand des Regimes kannte keine Nachsicht. Aber es gibt auch andere Gründe, sich den Diktator zurück zu wünschen: Eine Marktverkäuferin beschwert sich, dass der neue Präsident Barrow nicht zum Händeschütteln vorbeikommt wie zuvor Jammeh ....

Die ländlichen Regionen sind inzwischen ausgeblutet, weil sich seit Jahren viele junge Menschen auf den „back way“ machen, um in Europa ihr Glück zu suchen. Aber auch wer nicht ins Ausland will, den zieht es in die Ballungsgebiete an der Küste in der Hoffnung, dort etwas Geld für den Lebensunterhalt der Familie zu verdienen. Doch Jobs gibt nicht. Man schlägt sich durch, lebt von der Hand in den Mund. Daran hat sich nichts geändert. Wer dennoch eine Stelle z.B. als Lehrer, Arzt oder auch in der Regierung hat, wird in der Regel sehr schlecht bezahlt. Meist reicht ein Gehalt kaum für mehr als einen Sack Reis.

Gelegenheitsarbeiten bringen ein paar Dalasi (Landeswährung) ein, häufig gibt es diese Jobs auf dem Bau. Aktuell wird überall gebaut, meistens luxuriöse Häuser, Hotels und ein überdimensional großes Gambisch/Chinesisches Kongresszentrum. Wie wir gehört haben, arbeiten Gambier auch dort für einen Hungerlohn. Im Tourismus wären tendenziell Jobs für die Menschen möglich, doch die westlichen Tourismusunternehmen bieten all inclusive Reisen an, sodass das Geld der Touristen kaum bei Einheimischen ankommt. Es gibt aber inzwischen Bestrebungen für einen sanften ökologisch ausgerichteten Tourismus. Doch es fehlt in dieser Branche, wie in den meisten anderen, an know how und so wird der Weg dahin noch weit sein.

Wo auch immer man hinschaut, es herrscht Mangel, Chaos und das Leben ist sehr beschwerlich. Auch die Gesundheitsversorgung ist nach wie vor katastrophal. Die Menschen sterben an behandelbaren Krankheiten, weil es an Wissen und an Medikamenten fehlt. Uns fiel auf, dass inzwischen sehr viele Menschen, schon die Kinder, schlechte Zähne haben. Der Zuckerkonsum ist enorm, Zähneputzen Luxus. Die Lebensmittelpreise steigen ins Unermessliche. (In den Tagen unseres Aufenthaltes wurde von der Regierung gerade ein Preisstopp verhängt, bleibt abzuwarten, was daraus wird).

Fisch, neben Reis ein Grundnahrungsmittel, ist sehr teuer geworden. Internationale Fangflotten fischen die Küsten leer und die einheimischen Fischer mit ihren kleinen Booten haben kaum noch guten Fang. Auch Schulbildung steht nach wie vor nur denen offen, die sie bezahlen können. Durch die Zuwendungen aus dem Ausland gibt es aber inzwischen doch viele gebildete junge Menschen. Aber auch diese haben weitgehend keine Chance auf eine auch nur annähernd gut bezahlte Arbeit.

Es gibt im ganzen Land kaum noch eine Familie, die nicht jemanden auf den Weg nach Europa geschickt hat oder zumindest jemanden kennt. Und viele sind inzwischen wieder zurück. Zu Jammehs Zeiten wurden die aus Libyen oder Europa Rückgeführten noch öffentlich vorgeführt und an den Pranger gestellt. Inzwischen beginnt sich die Stimmung zu verändern. Sicher gibt es noch Familien, die sich schämen, wenn der Sohn oder die Tochter es "nicht geschafft" hat, in Europa zu bleiben. Aber es gibt auch zunehmend Unterstützung und Verständnis. Und Rückkehrer aus Libyen haben ein Projekt gestartet, um die jungen Menschen vor der Flucht nach Europa zu warnen. Sie reisen durch das Land und erzählen von ihren Erfahrungen. Einige schreckt das ab, aber bei weitem nicht alle. Nach wie vor wollen viele der jungen Leute einfach nur weg. Der Existenzdruck ist enorm und die Erwartungen der Familie hoch. Traditionell wird vorausgesetzt, dass das älteste Kind die Großfamilie finanziell unterstützt. Und sehr viele Familien leben von dem Geld aus Europa. Das Land würde noch tiefer ins Chaos gestürzt, sollten diese finanziellen Zuwendungen wegfallen.

Der Regimewechsel hat natürlich auch Gutes hervorgebracht. Die Menschen können nun sagen, was sie denken und Journalisten können unbehelligt ihre Arbeit tun. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass noch etliche der Getreuen Jammeh`s ihren Platz in der neuen Regierung und im Militär haben. Und auch bezüglich des aktuellen Präsidenten Barrow gibt es Skepsis, ob er langfristig zum Wohle der Menschen handeln wird. Die Situation vor Ort ist also mehr als wacklig und die Demokratie steht noch lange nicht auf festen Beinen.

Über unsere Familien
In den Familien, die wir mit einem "bedingungslosen Grundeinkommen" unterstützen, sehen wir, was Bildung bewirkt. Die älteste Tochter unseres Trommellehrers besucht seit einem Jahr die Universität. Wir waren sehr erfreut zu erleben, wie differenziert sie sich inzwischen ausdrückt und wie sie ihre Rolle als "Älteste" ausfüllt. Sie sei Vorbild für ihre Geschwister und für so manch andere. Auch wird es sicher eine Generation dauern, bis sich neue Werte durchsetzen. Bis dahin lebt sie in dem Spagat zwischen alter Tradition und ihrem Wunsch nach noch mehr Bildung und einem gelingenden Leben, raus aus der Armut.
Ihr Vater, unser Freund und Trommellehrer Ghaly, verdient sein Geld schon lange nicht mehr mit der Musik. Die Mitglieder seiner früheren Musikgruppe sind schon lange in Europa, allein kann er keine Musikdarbietungen in den Hotels mehr leisten. Auch sind seit Jahren keine neuen SchülerInnen mehr gekommen. Das könnte sich jetzt hoffentlich ändern .... Gambia wird wieder von vielen besucht. Es war für uns traurig zu sehen, wie er mühsam ein paar Dalasi mit Gelegenheitsarbeit für die Familie dazu verdient. Das würde für gar nichts reichen, nicht mal für Reis. Seine Frau spricht kein Englisch, wir können also nicht mit ihr sprechen. Aber sie hat einen Shop auf dem Markt aufgebaut und verdient für die Familie damit zumindest das Essen. Für Bildung und mehr würde auch das nicht reichen ....

Dieser Aufenthalt in Gambia war kurz, aber sehr erlebnisintensiv geprägt vom Spannungsfeld zwischen Aufbruchstimmung und lähmendem Stillstand. Dennoch: Wir haben auch Zeit mit Trommelunterricht verbracht. Unser Freund ist nicht nur ein virtuoser Spieler sondern auch ein sehr guter Lehrer!

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